Reform der MaGo – neue Pflichten, neue Chancen, neue Verantwortung
Wie verändert Regulierung die Rolle von Führungskräften im Finanzsektor? Und warum wird Reputationsmanagement zum Schlüssel für Vertrauen, Stabilität und Zukunftsfähigkeit?
Wenn Aufsicht, Markt und Unternehmenspraxis aufeinanderprallen, entstehen jene Momente, in denen sich zeigt, ob Regulierung nur Formalie bleibt oder echten Wandel einleitet. Mit der neuen MaGo der BaFin tritt genau ein solcher Moment ein: Geschäftsleiter und Versicherer müssen nicht mehr nur Regeln befolgen, sondern Verantwortung sichtbar leben – in Organisation, Risikokultur und Nachhaltigkeit.
Im Herbst 2025 tritt die überarbeitete Fassung des BaFin-Rundschreibens zu den Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation (MaGo) für Solvency-II-Unternehmen in Kraft. Hinter dieser scheinbar technischen Anpassung verbirgt sich ein fundamentaler Paradigmenwechsel in der deutschen Versicherungslandschaft. Die Reform ist mehr als eine Präzisierung regulatorischer Pflichten: Sie ist ein Signal, dass Governance, Risikokultur und Nachhaltigkeit zu tragenden Säulen einer zukunftsfähigen Versicherungswirtschaft werden.
„Dem Risikoprofil angemessen“ – diese Formulierung bringt die neue Richtung auf den Punkt. Weg vom starren Korsett, hin zu einer prinzipienorientierten, proportionalen Betrachtungsweise. Es geht nicht mehr allein um die Frage, ob ein Versicherer gesetzliche Mindestvorgaben abhaken kann, sondern darum, wie gut er sie in Einklang mit seinem spezifischen Geschäftsmodell umsetzt.
Risikokultur als juristisches Steuerungsinstrument
Ein zentraler Innovationssprung liegt im Kapitel 7: Risikokultur wird nicht länger als „weicher Faktor“ abgetan, sondern als Pflichtbestandteil der Geschäftsorganisation definiert. Unternehmen müssen nachweisen, dass sie systematisch Mechanismen implementieren, um Risikobewusstsein in allen Ebenen zu verankern.
Dr. Thomas Schulte betont: „Risikokultur ist nicht in Kennzahlen messbar. Sie ist gelebte Realität und Ausdruck einer Haltung. Dass die Aufsicht diese Haltung nun verbindlich einfordert, ist ein juristischer Fortschritt von erheblicher Tragweite.“
Digitalisierung, KI und Haftung – die neue Dreiecksbeziehung
Mit Abschnitt 9.5 zur Integration von KI-Systemen rückt die BaFin eine hochaktuelle Fragestellung in den Fokus: Wer trägt Verantwortung, wenn Algorithmen Prozesse steuern? Die Antwort ist eindeutig: die Geschäftsleiter.
Auch wenn KI-Routinen in Echtzeit Risiken bewerten oder Kundenentscheidungen automatisieren, bleibt die rechtliche Verantwortung unverändert beim Menschen. Dr. Schulte warnt: „Haftung kann nicht outgesourct werden. Die Transparenz der Entscheidungswege muss gewährleistet bleiben, sonst droht nicht nur Rechtsunsicherheit, sondern auch ein massiver Reputationsschaden.“
Nachhaltigkeit – Pflicht, nicht Kür
Nachhaltigkeit ist längst nicht mehr bloß ein „Add-on“ für Imagebroschüren oder ein Schlagwort in CSR-Berichten – sie ist heute ein verbindlicher Bestandteil regulatorischer Vorgaben. Die BaFin fordert, dass Versicherer ESG-Risiken (Environmental, Social, Governance) systematisch in ihre Geschäftsorganisation und ihr Risikomanagement integrieren. Dies umfasst nicht nur ökologische Faktoren wie Klimarisiken, sondern ebenso soziale Aspekte wie faire Geschäftspraktiken sowie Governance-Fragen der Unternehmensführung.
Juristisch besonders bedeutsam ist, dass Nachhaltigkeit nicht länger als freiwillige „Selbstverpflichtung“ behandelt wird. Mit der MaGo und den einschlägigen Paragraphen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), etwa Art. 269, wird klargestellt: Unternehmen müssen Nachhaltigkeitsrisiken antizipieren, in ihre strategischen Planungen einbinden und regelmäßig dokumentieren. Es geht also um überprüfbare Compliance-Pflichten, deren Missachtung nicht nur aufsichtsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann, sondern auch zivilrechtliche Haftungsfragen aufwirft. Was geschieht, wenn ein Versicherer die Klimarisiken seiner Kapitalanlagen ignoriert und dadurch langfristig sowohl Anleger als auch Versicherte schädigt? Hier öffnet sich ein Feld für mögliche Schadensersatzforderungen und Organhaftung.
Dr. Thomas Schulte betont, dass „Nachhaltigkeit inzwischen ein Bestandteil des rechtlichen Pflichtenkatalogs ist. Wer ESG-Aspekte ignoriert, verletzt nicht nur gesellschaftliche Verantwortung, sondern riskiert konkrete juristische Konsequenzen.“ Besonders kritisch sei dabei die Verzahnung mit internationalen Finanzmärkten: Kapitalgeber achten zunehmend auf ESG-Konformität, und Unternehmen ohne belastbare Nachhaltigkeitsstrategie würden wirtschaftlich ins Abseits gedrängt.
Damit wird klar: Nachhaltigkeit ist keine Kür, die man sich leisten kann, wenn es die Ressourcen erlauben – sie ist eine Pflicht, die über die rechtliche Zulässigkeit und die ökonomische Zukunftsfähigkeit von Versicherern entscheidet. Die eigentliche Frage lautet daher: Welche Strukturen und Kontrollmechanismen schaffen Versicherungsunternehmen heute, um morgen nicht nur regulatorisch, sondern auch marktwirtschaftlich bestehen zu können?
Systemkritik und Verantwortung – die Perspektive von Sven Enger
Besonders spannend ist die Einordnung dieser Reform durch Sven Enger, Geschäftsführer der auxinum und langjähriger Insider der Versicherungsbranche. Enger war selbst Vorstand mehrerer Lebensversicherer – und kennt das System von innen. Sein Fazit ist ernüchternd: „Das System ist so aufgebaut, dass es systematisch zulasten der Kunden funktioniert.“
Mit der Gründung der auxinum hat er bewusst die Seiten gewechselt. Sein Ziel: Ein solidarisches System, das den Menschen die Verantwortung für ihre finanzielle Zukunft zurückgibt. Für ihn ist die Reform der MaGo ein wichtiger Schritt, reicht aber bisher nicht aus: „Regulierung kann nur den Rahmen setzen. Der eigentliche Wandel entsteht erst, wenn Verbraucher ihre Rechte kennen und durchsetzen – und wenn Manager lernen, dass ihr Ruf, ihre Glaubwürdigkeit und ihr Handeln im Zentrum stehen.“
Damit verbindet Enger aufsichtsrechtliche Strenge mit einer Vision von Reputationsmanagement: Geschäftsleiter müssen begreifen, dass sie nicht nur Akten erfüllen, sondern Vertrauen sichern – das der Anleger, der Kunden und der Gesellschaft.
Rückversicherung, Gruppensteuerung und neue Kontrollmechanismen
Die Reform geht in zentralen Punkten weit über die bisherigen Anforderungen hinaus. Besonders deutlich zeigt sich das bei der Rückversicherung: Unternehmen sind nun angehalten, Rückversicherungsverträge nicht nur als Mittel zur Risikotransferierung zu betrachten, sondern sie aktiv in das strategische Risikomanagement einzubinden. Die BaFin verweist ausdrücklich auf europäische Regulierungsinstrumente wie die Digital Operational Resilience Act (DORA) und die KI-Verordnung, die digitale Widerstandsfähigkeit und den verantwortungsvollen Einsatz künstlicher Intelligenz verbindlich machen. Damit wird klar: Rückversicherung bedeutet nicht mehr nur finanzielle Absicherung, sondern umfasst die gesamte digitale und operative Widerstandskraft des Unternehmens.
Ein weiterer Meilenstein ist die Stärkung der versicherungsmathematischen Funktion (VmF). Sie tritt nicht länger lediglich als Berechnungsstelle für Rückstellungen auf, sondern wird zur aktiven Kontrollinstanz innerhalb der Unternehmensführung. Ihre Einschätzungen zu Rückversicherung, Kapitalanlage und Risikomodellen erhalten verbindlichen Charakter und sind bei strategischen Entscheidungen zwingend zu berücksichtigen. Juristisch eröffnet das neue Fragen: Welche Haftung trägt die VmF künftig, wenn Fehlentscheidungen trotz fachlicher Warnungen getroffen werden? Und wie weit reicht ihre Durchgriffsbefugnis in die Vorstandsarbeit hinein?
Hinzu kommt die Pflicht für Obergesellschaften, die Steuerung nicht nur auf den klassischen Versicherungskern zu beschränken, sondern auch konzernfremde Einheiten wie Asset Manager, IT-Töchter oder Servicegesellschaften in die Governance einzubinden. Damit entsteht eine ganzheitliche Verantwortungskette, die das gesamte Unternehmensgefüge umfasst – auch dort, wo bisher regulatorische Grauzonen bestanden.
Diese Entwicklungen verdeutlichen unmissverständlich: Die Verantwortung für solide Governance ist nicht mehr teilbar. Sie reicht über den engeren Versicherungsbetrieb hinaus in die gesamte Konzernarchitektur und zwingt Vorstände, Aufsichtsräte und Funktionsverantwortliche gleichermaßen zu einer neuen Qualität von Transparenz und Steuerung. Die eigentliche Frage lautet daher: Wie schaffen es Unternehmensgruppen, diese erweiterten Pflichten nicht als bürokratische Last, sondern als strategischen Wettbewerbsvorteil zu nutzen?
Reputationsmanagement als Zukunftsfaktor
Aus juristischer und ökonomischer Sicht ist klar: Die Verwarnung, der Eingriff oder das Rundschreiben der BaFin ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Verantwortungskultur. Geschäftsleiter stehen nicht nur vor der Pflicht, Systeme und Prozesse zu optimieren, sondern auch vor der Aufgabe, Vertrauen aktiv zu managen.
Dr. Schulte: „Reputationsmanagement ist heute kein Nebenschauplatz mehr, sondern Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit im Finanzsektor. Die Reform der MaGo zeigt, dass Organisation, Kultur und Glaubwürdigkeit nicht mehr trennbar sind.“
Fazit – MaGo als Spiegel des Wandels
Die überarbeitete MaGo markiert den Beginn einer neuen Aufsichtsära: Eigenverantwortung statt Detailsteuerung, Risikokultur statt bloßer Compliance, Nachhaltigkeit statt kurzfristigem Profit. Für Versicherungsunternehmen bedeutet dies eine Gratwanderung zwischen Regulierung und Freiheit – für Geschäftsleiter aber vor allem eines: persönliche Verantwortung.
Sven Enger ergänzt mit Blick auf die Zukunft: „Die Menschen müssen wieder lernen, dass sie selbst die Verantwortung für ihre finanzielle Sicherheit tragen können. Regulierungen helfen – aber am Ende braucht es ein solidarisches System, das auf Vertrauen basiert.“
Damit wird klar: Die BaFin setzt die Leitplanken, doch den Weg in die Zukunft müssen Unternehmen, Manager und Verbraucher gemeinsam gehen.
Autor: Maximilian Bausch, B.Sc. Wirtschaftsingenieur
Maximilian Bausch ist Wirtschaftsingenieur, Reputationsstratege und Gründer von ABOWI Reputation – einer Agentur für digitale Positionierung und Reputationsmanagement. Mit technischem Feinsinn aus seiner Zeit als Industriemechaniker und analytischem Denken aus dem Wirtschaftsingenieurwesen vereint er Bodenhaftung mit digitalem Weitblick. Er entwickelt für Unternehmen passgenaue Kommunikationsstrategien, schreibt über Technologie, Wirtschaft und Online-Reputation – stets praxisnah, klar und mit internationalem Blick.
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Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin und leitender Vertrauensanwalt des Netzwerks ABOWI Law.