Kostenfalle Lebensversicherung – warum Verbraucher kaum profitieren

Hohe Kosten, niedrige Rendite und fehlende Transparenz – wie lange hält das Modell noch stand? Der schwindende Mythos Sicherheit.

Die Lebensversicherung galt über Jahrzehnte als Inbegriff deutscher Vorsorgekultur. Millionen Verbraucher vertrauten darauf, dass ihre eingezahlten Beiträge am Ende des Erwerbslebens zu einer sicheren Rente führen würden. „Lebensversicherung = Sicherheit“ – diese Formel war fast schon in Stein gemeißelt. Doch die Realität im Jahr 2025 sieht ernüchternd aus: hohe Kosten, niedrige Renditen und eine Intransparenz, die Verbraucher zunehmend frustriert zurücklässt.

Die nüchternen Zahlen zeigen ein deutliches Bild: Der Kapitalanlagenbestand der Lebensversicherer sank 2024 leicht um 0,7 Prozent auf 1.019 Milliarden Euro. Gleichzeitig stieg die Nettoverzinsung der Kapitalanlagen zwar auf 2,37 Prozent (Vorjahr: 2,27 Prozent) – doch bei einer Inflation von über 3 Prozent bedeutet das für Verbraucher ein reales Minusgeschäft. Während die Versicherer ihre Eigenmittelquote (d. h. das Eigenkapital im Verhältnis zu den Beitragseinnahmen des laufenden Jahres) auf stabile 141,6 Prozent steigerten, fühlen sich viele Kunden betrogen. Der Widerspruch ist offensichtlich: Das System stärkt die Bilanzen der Versicherer – nicht die Altersvorsorge der Versicherten.

Kosten, die Renditen auffressen – das stille Gift

Eines der größten Probleme sind die Kostenstrukturen, die tief in den Verträgen verankert sind. Verwaltungskosten von 2 bis 3 Prozentpunkten der Rendite jährlich sind keine Seltenheit, d. h. regelmäßig sind 12–15 Prozent Kostenbelastung in Bezug auf den Beitrag zu sehen. Hinzu kommen Abschlusskosten, die oft in den ersten fünf Jahren des Vertrags anfallen und mehrere tausend Euro ausmachen können.

Prof. Dr. Philipp Schade, unabhängiger Aktuar, bringt es mit Zahlen auf den Punkt: „Die Mathematik ist unerbittlich. Wenn die Nettoverzinsung bei 2,4 Prozent liegt und gleichzeitig Verwaltungskosten von 2 bis 3 Prozentpunkten anfallen, bleibt für den Verbraucher kaum mehr als eine Nullrendite übrig. Es stellt sich ohnehin die Frage, ob ein Versicherungsprodukt, das mithilfe des Kollektivprinzips für die Absicherung des individuellen Einzelrisikos gedacht ist, als Instrument zum Vermögensaufbau überhaupt geeignet ist. Der Aktuar sagt ganz klar nein: Es ist wie Löffeln der Suppe mit einer Gabel, also das falsche Instrument für den falschen Einsatzzweck. Die Banken wären die geeigneteren Kandidaten, versagen aber ebenfalls, da sie sich mit dem Vertrieb von Versicherungsprodukten ein äußerst lukratives Nebengeschäft besorgt haben – lukrativer als das klassische Banking für den Endkunden jedenfalls.“

Juristisch betrachtet wirft dies eine drängende Frage auf: Ist es mit den Prinzipien von Transparenz und Verbraucherschutz vereinbar, wenn Produkte konstruiert sind, die strukturell kaum Rendite ermöglichen? Verbraucherzentralen kritisieren seit Jahren, dass viele Kunden über die wahren Kostenbelastungen erst dann stolpern, wenn die jährliche Wertmitteilung vorliegt – und die Ernüchterung groß ist.

Vertrauen geschädigt bei der Lebensversicherung - Sven Enger

Sven Enger – aus der Branche zum Verbraucherschützer

Sven Enger, ehemaliger Vorstand mehrerer Versicherungsunternehmen und heute Geschäftsführer der auxinum GmbH, kennt die Mechanismen von innen. „Das Problem ist, dass Sicherheit und Rendite seit Jahrzehnten in einen Topf geworfen werden. Dem Kunden wird suggeriert: Deine Beiträge sind sicher und gleichzeitig erwirtschaftest du eine attraktive Rendite. Aber das ist Augenwischerei.“

Enger betont, dass Verbraucher ein Recht auf Ehrlichkeit haben. Er habe selbst als Vorstand erleben müssen, wie interne Kalkulationen Renditen auf dem Papier schönrechneten, während die reale Auszahlung für Kunden enttäuschend war. Genau deshalb hat er die Seiten gewechselt: Heute unterstützt er Verbraucher dabei, ihre Verträge zu prüfen, Rückabwicklungen einzuleiten und Transparenz einzufordern.

Verbraucher in der Kostenfalle – Beispiele aus der Praxis

Ein Beispiel verdeutlicht die Problematik: Ein Kunde zahlt über 20 Jahre hinweg monatlich 200 Euro in eine klassische Lebensversicherung ein. Am Ende der Laufzeit summieren sich die Einzahlungen auf 48.000 Euro. Durch die Kostenstruktur – Abschlussprovisionen, Verwaltungskosten, Garantieaufschläge – werden im Schnitt 20 bis 25 Prozent dieser Beiträge von Anfang an aufgezehrt. Selbst bei einer durchschnittlichen Verzinsung von 2,5 Prozent erreicht der Auszahlungsbetrag nach 20 Jahren kaum mehr als 50.000 Euro.

Rechnet man die Inflation mit ein, ist die reale Kaufkraft dieses Kapitals sogar geringer als die eingezahlten Beiträge. Mit anderen Worten: Der Kunde hat über zwei Jahrzehnte faktisch Geld verloren – und zwar in einem Produkt, das als „sichere Altersvorsorge“ beworben wurde.

Juristisch brisant ist dabei die Frage, ob Verbraucher durch Hochglanzbroschüren und optimistische Beispielrechnungen in die Irre geführt werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mehrfach entschieden, dass unzureichende Aufklärung über Kosten und Risiken zu Schadenersatzansprüchen führen kann.

Die Rolle von Riester – ein gescheitertes Experiment

Die Krise der Lebensversicherung spiegelt sich auch in der Riester-Rente wider. Von den 20 Millionen abgeschlossenen Verträgen wurden bereits über fünf Millionen vorzeitig gekündigt. Allein in den ersten acht Monaten 2025 kamen weitere 220.000 Kündigungen hinzu.

Finanzexperten sehen in Riester ein Paradebeispiel dafür, wie Kosten und Intransparenz eine vermeintlich gute Idee zerstören können. Die Beitragsgarantie, die Sicherheit suggerierte, verhinderte gleichzeitig, dass Gelder in renditestarke Anlagen flossen. „Das System Riester hat gezeigt, dass es nicht reicht, nur Sicherheit zu versprechen. Ohne Rendite ist das Modell zum Scheitern verurteilt“, so Prof. Schade.

Juristische Fragen – Verbraucherschutz im Fokus

Für Juristen stellt sich eine Kernfrage: Ist das derzeitige Lebensversicherungsmodell noch mit dem Leitgedanken des Verbraucherschutzes vereinbar? Verträge, die strukturell mehr Kosten als Rendite produzieren, könnten als intransparent oder sogar als irreführend eingestuft werden.

Fehlerhafte Widerrufsbelehrungen eröffnen Verbrauchern nach § 812 BGB die Möglichkeit zur Rückabwicklung. Falschberatung durch Vermittler kann Schadenersatzansprüche begründen, etwa wegen Verletzung der Beratungspflichten nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Die Rechtsprechung hat hier in den vergangenen Jahren deutliche verbraucherfreundliche Signale gesetzt: Immer wieder obsiegen Kunden, weil ihnen wesentliche Informationen verschwiegen wurden.

Sven Enger bringt es auf den Punkt: „Verbraucher müssen verstehen, dass sie nicht in der Falle sitzen bleiben müssen. Wer klagt, hat oft gute Chancen, zumindest einen Teil seiner Beiträge zurückzuholen.“

Das größere Bild – Milliardenvermögen versus Verbraucherfrust

Während Verbraucher um ihre Ersparnisse kämpfen, stehen die Versicherer vergleichsweise stabil da. Rund zwei Drittel der Kapitalanlagen fließen in die Privatwirtschaft, ein Drittel in staatliche Projekte. Die Nettoverzinsung von 2,37 Prozent wird in den Geschäftsberichten stolz präsentiert, während die reale Rendite für Kunden negativ bleibt.

Die Eigenmittelquote von 141,6 Prozent signalisiert Sicherheit – allerdings vor allem für die Versicherer selbst. Für die Verbraucher bleibt am Ende oft das Gefühl, ein System mitzufinanzieren, das ihre Interessen nur am Rande berücksichtigt.

Keine Rendite bei Lebensversicherungen - Prof. Dr. Schade

Praxisbeispiel – Lebensversicherung versus ETF-Sparen

Nehmen wir an, eine 35-jährige Versicherungsnehmerin schließt eine klassische Lebensversicherung ab. und zahlt monatlich 200 Euro über 30 Jahre ein. Am Ende der Laufzeit hat sie 72.000 Euro eingezahlt.

Aufgrund der hohen Abschluss- und Verwaltungskosten (ca. 2–3 % jährlich) sowie einer Nettoverzinsung von rund 2,4 Prozent ergibt sich nach 30 Jahren eine Auszahlsumme von etwa 85.000 Euro. Rechnet man die Inflation mit durchschnittlich 2,5–3 Prozent jährlich hinzu, entspricht die reale Kaufkraft dieser Summe jedoch kaum mehr als den eingezahlten Beiträgen. Im Klartext: Nach 30 Jahren hat die Versicherungsnehmerin trotz jahrzehntelanger Einzahlungen praktisch nichts gewonnen – die Rendite ist von den Kosten aufgefressen worden.

Zum Vergleich: Hätte dieselbe Person die 200 Euro monatlich in einen global gestreuten ETF investiert – bei einer durchschnittlichen Rendite von 5–6 Prozent pro Jahr, wie sie die Kapitalmärkte in den vergangenen Jahrzehnten langfristig erzielt haben –, würde das Kapital nach 30 Jahren auf rund 150.000 bis 170.000 Euro anwachsen. Selbst nach Abzug von geringen Fondskosten (z. B. 0,2 Prozent jährlich) bleibt ein deutlicher Vermögenszuwachs, der weit über der Inflation liegt.

Juristisch brisant ist die Frage, ob Verbraucher durch Hochglanzprospekte und „Garantieversprechen“ bewusst in die Irre geführt werden, wenn sie in Produkte investieren, die mathematisch kaum eine Chance auf reale Rendite bieten. Ist ein System, das zwar rechtlich zulässig, aber ökonomisch strukturell nachteilig ist, noch mit dem Leitgedanken des Verbraucherschutzes vereinbar? Oder müsste der Gesetzgeber klarere Vorgaben zu Kostenobergrenzen und Renditeangaben schaffen?

Zukunftsperspektiven – Reform oder Vertrauensverlust?

Die Frage ist: Wie lange halten Verbraucher noch still? Die Kündigungswelle bei Riester zeigt, dass Millionen Menschen die Geduld verlieren. Ohne grundlegende Reformen droht der Lebensversicherung das gleiche Schicksal.

Finanzexperten wie Prof. Schade sehen dringenden Handlungsbedarf: „Es braucht einfache, transparente Produkte mit klar gedeckelten Kosten. Alles andere führt dazu, dass die Rendite beim Verbraucher nie ankommt.“

Juristisch bedeutet das: Politik und Aufsichtsbehörden müssen prüfen, ob die bestehenden Strukturen noch tragfähig sind. Kann ein Produkt, das über Jahrzehnte hinweg Millionen Kunden enttäuscht hat, weiterhin als „sichere Altersvorsorge“ gelten? Oder ist es an der Zeit, die Spielregeln neu zu schreiben – im Interesse der Verbraucher?

Fazit – Transparenz als Schlüssel zur Zukunft

Die Kostenfalle Lebensversicherung ist kein Randthema, sondern ein strukturelles Problem, das Millionen Menschen betrifft. Die Kombination aus hohen Kosten, niedriger Rendite und mangelnder Transparenz hat das Vertrauen in eines der ältesten Vorsorgeprodukte massiv erschüttert.

Sven Enger warnt: „Solange die Branche glaubt, dass Stabilität der Bilanzen wichtiger ist als die Altersvorsorge der Kunden, wird sich am Vertrauensverlust nichts ändern.“

Prof. Schade ergänzt: „Die Mathematik ist eindeutig – ohne Reformen bleiben Verbraucher immer die Verlierer.“

Für Juristen, Politiker und Verbraucher gleichermaßen ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Transparenz, Fairness und Reformen müssen die Grundlage für die Altersvorsorge von morgen sein. Andernfalls bleibt die Lebensversicherung ein Produkt, das zwar Milliarden bewegt – aber kaum Mehrwert für die Menschen schafft, die es eigentlich schützen sollte.

Autor:
Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt

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Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte
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