Aktualisierte BaFin-MaGo- Neue Richtung für Versicherer - Enger, Dr. Schade und Dr. Schulte

Aktualisierte BaFin-MaGo: Neue Richtung für Versicherer

BaFin verschärft die MaGo-Vorgaben – Versicherungsbranche im Stresstest der Aufsicht. Wie viel Regulierung braucht ein stabiles System – und wann droht aus Kontrolle Überlastung zu werden?

Die deutsche Finanzaufsicht BaFin hat nach sieben Jahren das zentrale Rundschreiben zu den Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen unter Solvabilität II (MaGo für SII-VU) grundlegend überarbeitet. Auf den ersten Blick mag es wie eine bloße administrative Anpassung erscheinen. Doch Experten wie Sven Enger, der jahrzehntelang die Finanz- und Versicherungswirtschaft als Vorstand mitgestaltet hat und heute als Geschäftsführer der auxinum aktiv ist, sehen darin ein klares Signal: Die Aufsicht zieht die Zügel an, weil die Risiken und Anforderungen in einer dynamischen Branche steigen. Auch Prof. Dr. Schade, Leiter eines unabhängigen Aktuariats und Beratungshauses für betriebliche Altersversorgung, betont, dass die neuen Maßstäbe weit über formale Regularien hinausgehen – sie definieren faktisch die Messlatte für verantwortungsvolle Unternehmensführung.

Die Zahlen sprechen für sich: Laut BaFin-Statistik verwalten deutsche Versicherungsunternehmen Kapitalanlagen von mehr als 1,9 Billionen Euro – Gelder, die Millionen von Verbrauchern direkt betreffen. Gleichzeitig ist der Druck durch Niedrigzinsen, volatile Kapitalmärkte und die wachsende Regulierung im europäischen Rahmen spürbarer denn je. Schon 2023 musste die BaFin bei mehr als 60 Unternehmen aufsichtsrechtliche Eingriffe vornehmen, unter anderem wegen Mängeln in der Risikosteuerung und Governance-Strukturen. Dass die MaGo nachgeschärft wurde, ist also nicht nur vorausschauend, sondern Ausdruck einer Realität, in der kleine Fehler große Wellen schlagen können.

Juristisch stellt sich nun die zentrale Frage: Reicht diese Überarbeitung, um die Versicherungsbranche nachhaltig auf künftige Krisen vorzubereiten – von geopolitischen Schocks bis hin zu den Risiken der Digitalisierung? Oder droht der Spagat zwischen aufsichtsrechtlicher Kontrolle und unternehmerischer Freiheit an einer Grenze zu scheitern, die für Verbraucher, Unternehmen und die Stabilität des gesamten Finanzsystems entscheidend sein könnte?

Dieser Beitrag beleuchtet die überarbeiteten Vorgaben, die Rolle der Experten und die Auswirkungen für die Praxis – und fragt kritisch, ob die neue MaGo die Branche stärkt oder sie auf Dauer in ein Korsett zwingt, das Innovation und Flexibilität hemmt.

Schutzschild bei Lebensversicherungen für Versicherte - Sven Enger

Konzentration auf das Wesentliche – ein echter Wendepunkt oder nur ein formaler Schnitt?

Die augenscheinlich größte Neuerung liegt in der strikten Fokussierung auf die Kernelemente der Geschäftsorganisation. Was bislang in einem einzigen MaGo-Rundschreiben gebündelt war, wird nun entflechtet: Entscheidende Kapitel, etwa die komplexen Anforderungen an die Eigenmittel, sind in separate Merkblätter ausgelagert. Damit entsteht nicht nur ein klareres Regelwerk, sondern auch ein deutlich höherer Grad an Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit für Unternehmen, deren Compliance-Abteilungen und juristische Berater.

Doch ist diese Neustrukturierung lediglich ein redaktioneller Kunstgriff – oder markiert sie den Beginn einer tieferen Transformation in der Versicherungsaufsicht? Hier stellen sich für die Praxis drängende Fragen: Wird die Fragmentierung wirklich zu einer Effizienzsteigerung führen oder entstehen durch die Vielzahl einzelner Dokumente neue Unsicherheiten? Ist das Mehr an Klarheit zugleich auch ein Mehr an Komplexität, wenn Unternehmen künftig zahlreiche Merkblätter parallel überwachen müssen?

„Die Neustrukturierung der MaGo für Solvency-II-Versicherungsunternehmen darf nicht als bloße Formalie abgetan werden“, betont Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte. „Sie ist vielmehr ein Signal, dass die Aufsicht den Dialog mit der Praxis sucht, den Regulierungsprozess entschlackt und damit den Weg für eine moderne, zukunftsfähige Regulierungsarchitektur bereitet. Ob sich dies am Ende als zukunftsweisende Entlastung oder als neue Regulierungsdichte erweisen wird, hängt davon ab, wie Unternehmen und Aufsicht die praktische Umsetzung gestalten.“

Nachhaltigkeit und Digitalisierung als neue Eckpfeiler

Von besonderem Interesse für Juristen und Unternehmensverantwortliche sind die erstmals explizit aufgenommenen Hinweise zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken. Die BaFin verfolgt damit konsequent die Linie, die bereits von der Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA vorgegeben wurde. Der neue Schwerpunkt steht im Einklang mit internationalem Regulierungsdruck, der vor allem mit dem Green Deal der Europäischen Union einhergeht.

Es geht der BaFin laut ihren eigenen Angaben nicht darum, Nachhaltigkeit über andere Risiken zu stellen. Vielmehr wird klar, dass ESG-Faktoren (Environmental, Social, Governance) regulativ genauso zu behandeln sind wie traditionelle Finanz- und operationelle Risiken. „Die Risikobetrachtung muss heute breiter, vielschichtiger und nachhaltiger erfolgen. Wer sich dieser Realität nicht stellt, riskiert nicht nur aufsichtsrechtliche Sanktionen, sondern auch irreparable Reputationsschäden“, erkläre ich. Die BaFin bewegt sich hier auf juristisch tragfähigem Boden, insbesondere im Lichte von § 29 Abs. 1 VAG, der sich auf eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation bezieht und die Pflicht zu einem wirksamen Risikomanagementsystem festlegt.

Prof. Dr. Schade betont in diesem Zusammenhang, dass Nachhaltigkeitsrisiken kein „Add-on“ mehr sind, sondern integraler Bestandteil aktuarieller Bewertungsmodelle und der Governance-Struktur werden müssen. Für ihn ist entscheidend, dass die Aufsicht den Unternehmen damit nicht nur eine regulatorische Bürde auferlegt, sondern auch ein Werkzeug bereitstellt, um die langfristige Stabilität von Betriebsrenten und Versicherungszusagen zu sichern. „Die Vernachlässigung dieser Faktoren ist nicht nur ein Compliance-Problem, sondern berührt unmittelbar die vertragliche Verantwortung gegenüber Versicherten und Arbeitnehmern“, so Schade.

Sven Enger sieht in den ESG-Vorgaben ebenfalls mehr als nur regulatorische Formalien. Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Vorstand in der Versicherungswirtschaft und heute als Geschäftsführer der auxinum betont er, dass Nachhaltigkeitsrisiken längst auch eine strategische Managementfrage darstellen: „Die BaFin zwingt die Unternehmen, ihr Geschäftsmodell kritisch zu hinterfragen. Wer ESG-Risiken ignoriert, verliert nicht nur Kunden, sondern auch Investoren.“ Enger verweist auf die wachsende Sensibilität von Anlegern und Aufsichtsräten: Studien zufolge gaben bereits 65 Prozent der institutionellen Investoren in Deutschland an, dass sie Unternehmen ohne nachvollziehbare ESG-Strategie meiden.

Juristisch stellt sich nun die drängende Frage: Wie weit darf die Regulierung gehen, um Unternehmen zu einem nachhaltigen Risikomanagement zu verpflichten, ohne deren unternehmerische Freiheit zu erdrücken? Und wer trägt letztlich die Verantwortung, wenn trotz aller Vorgaben Nachhaltigkeitsrisiken eintreten – das Unternehmen, die Aufsicht oder gar die Politik, die die Rahmenbedingungen vorgibt?

Stärkung des Risikomanagementsystems durch neue Vorgaben

Auch im Bereich der Rückversicherung und des Aktiv-Passiv-Risikos wurden die Anforderungen präzisiert. Die BaFin erwartet nunmehr, dass Versicherer in ihrer Planung von Beginn an auch die Möglichkeit eines Scheiterns von Rückversicherungsbeziehungen einkalkulieren. Das bedeutet, dass Unternehmen verpflichtet sind, realistische Szenarien für eine Diversifikation ihrer Rückversicherungen zu entwickeln. Die Übernahme dieses Risikostrangs in den Kanon der Unternehmenspflichten ist juristisch nachvollziehbar, denn sie entspricht dem im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) etablierten Integritätsprinzip.

„Dass Rückversicherungsbeziehungen stabil sein sollten, verstehen viele als Geschäftsgepflogenheit – aber erst durch die Verpflichtung zu Ausweichstrategien bei Beendigungen oder Verschlechterungen wird daraus eine echte aufsichtsrechtliche Forderung“, erklärt Dr. Thomas Schulte. Auch hier geht das deutsche Recht weiter als bloße Formalitäten: Gemäß § 26 VAG besteht eine Pflicht zur vorausschauenden und kontinuitätssichernden Geschäftsführung.

Sven Enger sieht in dieser Entwicklung ein klares Signal an die Branche: „Die neuen Vorgaben sind kein Misstrauensvotum, sondern ein Schutzschild – für die Unternehmen selbst, aber vor allem für die Versicherten. Wer Rückversicherungsrisiken proaktiv plant, beweist Verantwortungsbewusstsein und stärkt das Vertrauen der Verbraucher in die Stabilität ihrer Verträge.“ Für Enger liegt darin auch ein Wettbewerbsvorteil: Versicherer, die nicht nur auf Ertrag, sondern auch auf Sicherheit und Transparenz setzen, werden in einer kritischen Öffentlichkeit langfristig glaubwürdiger wahrgenommen.

Auch Prof. Dr. Schade unterstreicht die Bedeutung dieser aufsichtsrechtlichen Verschärfung. Aus aktuarieller Sicht sei die Einbeziehung von Ausfallrisiken in die Unternehmensstrategie mehr als eine rechtliche Pflicht – sie sei Ausdruck einer neuen Verantwortungskultur. „Verbraucherfreundlichkeit bemisst sich nicht allein an Produkten oder Renditen, sondern an der Fähigkeit, Zusagen auch in Stresssituationen zu halten. Die neuen Anforderungen zwingen Versicherer dazu, ihre Geschäftsorganisation widerstandsfähiger und vertrauenswürdiger zu machen“, betont Schade.

Damit stellt sich juristisch die übergeordnete Frage: Können diese Vorgaben den Spagat zwischen regulatorischer Sicherheit und unternehmerischer Freiheit tatsächlich gewährleisten – oder führt die wachsende Regeldichte langfristig zu einer Übersteuerung, die Flexibilität und Innovation hemmt? Sicher ist jedoch: Die BaFin macht mit der Neuausrichtung deutlich, dass nachhaltige Verbraucherfreundlichkeit nur durch klare Verantwortungspflichten und überprüfbare Mechanismen gewährleistet werden kann.

ESG Faktoren bei Versicherungen - Prof. Dr. Philipp Schade

Prudent-Person-Prinzip als eigenständiges Regulierungsmodul

Im Zuge der Neugestaltung der MaGo wurde zudem das sogenannte „Prudent Person Principle“ in ein eigenes Rundschreiben ausgelagert. Was aus juristischer Sicht wie eine redaktionelle Vereinfachung erscheint, hat inhaltliches Gewicht: Versicherer müssen demnach noch stärker dafür Sorge tragen, dass Kapitalanlagen nur in Vermögenswerte erfolgen, deren Risiken sie vollständig verstehen und beherrschen können.

Diese Neuregelung ist nicht nur ein Ausfluss des § 124 VAG, der konkrete Anforderungen an die Kapitalanlage regelt, sondern spiegelt auch die ethische Verantwortung der Geschäftsleitung wider. Wie schon § 91 Abs. 2 AktG für Aktiengesellschaften festlegt, besteht eine umfassende Verpflichtung zur Risikoermittlung und -vermeidung. Die gesetzliche Verknüpfung dieser beiden Regelungswerke stellt sicher, dass Kapitalanlagen auf tatsächlich soliden Entscheidungsgrundlagen gründen müssen.

Übergangsfristen und praktische Umsetzung – Anforderungen an die Unternehmen

Das neue Rundschreiben tritt ab dem 14. Oktober 2025 verbindlich in Kraft. Die Frist von drei Monaten seit Veröffentlichung dient dabei als Übergangszeit, innerhalb derer betroffene Versicherungsunternehmen ihre internen Prozesse und Dokumentationen anpassen müssen. Diese Übergangsfristen sind aus Sicht der Praxis notwendig und aus rechtsstaatlicher Sicht geboten, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Im Klartext bedeutet dies: Alle internen Leitlinien, Zuständigkeiten und Kontrollsysteme müssen einer kritischen Prüfung unterzogen und – sofern erforderlich – an die neuen MaGo angepasst werden. Dies stellt Anwälte und Unternehmensjuristen vor erhebliche Anforderungen. „Die Compliance-Abteilungen kommen nicht umhin, auch strategisch zu denken. Es reicht nicht aus, nur Paragraphen umzusetzen – die Unternehmen müssen komplexe Sachverhalte in praktikable Umsetzungslösungen übersetzen“, unterstreicht Dr. Schulte mit Nachdruck.

Fazit: MaGo als Modernisierungsinstrument der Regulierung

Zusammenfassend ist die überarbeitete Version der Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation (MaGo) weit mehr als ein bloßes Update: Sie ist ein tragfähiges Modernisierungsinstrument im Spannungsfeld von Regulierung, Risikomanagement und digitaler Verantwortung. Die BaFin hat mit Augenmaß und rechtlicher Präzision neue Akzente gesetzt, die der Komplexität heutiger Versicherungsstrukturen gerecht werden. Besonders die Integration von Nachhaltigkeitsthemen, digitaler Transformation und verschärften Risikovorgaben macht deutlich, dass die deutsche Aufsicht nicht nur auf Entwicklungen reagiert, sondern den Markt aktiv mitgestaltet.

Prof. Dr. Schade sieht in den neuen Anforderungen eine Chance, die Versicherungswirtschaft auf ein stabileres Fundament zu stellen: „Die MaGo zwingt die Unternehmen, Governance und Risikomanagement nicht als bloße Compliance-Aufgabe zu verstehen, sondern als Teil ihrer strategischen Identität. Wer diese Perspektive annimmt, stärkt nicht nur seine Solvenz, sondern vor allem das Vertrauen der Versicherten.“

Sven Enger ergänzt aus seiner praktischen Erfahrung als ehemaliger Vorstand und heutiger Geschäftsführer der auxinum: „Die neuen Regeln sind ein Katalysator. Sie eröffnen Versicherern die Möglichkeit, sich klarer als verantwortungsvolle, verbraucherfreundliche Marktteilnehmer zu positionieren. Wer ESG-Risiken ernsthaft einbindet und Ausweichstrategien im Rückversicherungsbereich plant, setzt nicht nur regulatorische Pflicht um, sondern baut aktiv Reputation auf – und gewinnt Kunden wie Investoren.“

MaGo ist kein Verwaltungsakt - Dr Thomas Schulte

Dr. Thomas Schulte betont schließlich die juristische Dimension: „Die MaGo sind nicht nur eine Verwaltungsvorschrift, sie sind ein Prüfstein für die Rechts- und Geschäftskultur in der Versicherungswirtschaft. Sie stellen die Frage, ob Aufsicht und Unternehmen gemeinsam in der Lage sind, eine Balance zwischen Freiheit und Verantwortung zu schaffen.“

Der rote Faden wird klar: Es geht nicht nur darum, regelkonform zu handeln, sondern darum, Regulierung als strategischen Vorteil zu begreifen. Für Versicherer bedeutet das, die aufsichtsrechtlichen Vorgaben frühzeitig und aktiv in ihre Strukturen zu integrieren, insbesondere wenn sie international tätig sind oder grenzüberschreitend Märkte bedienen.

Am Ende entscheidet sich die Zukunft der Branche nicht allein an Rendite oder Produktvielfalt, sondern an der Fähigkeit, Vertrauen, Rechtssicherheit und nachhaltige Verantwortung miteinander zu verbinden. Nur wenn Politik, Aufsicht, Unternehmen und Juristen diesen Weg gemeinsam gehen, entsteht das, was moderne Finanzmärkte am dringendsten benötigen: Stabilität, Glaubwürdigkeit und eine starke, zukunftsfähige Wirtschaft.

Autor: Maximilian Bausch, B.Sc. Wirtschaftsingenieur

Maximilian Bausch ist Wirtschaftsingenieur, Reputationsstratege und Gründer von ABOWI Reputation. Mit technischem Feinsinn aus seiner Zeit als Industriemechaniker und analytischem Denken aus dem Wirtschaftsingenieurwesen vereint er Bodenhaftung mit digitalem Weitblick.

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