Das Ende der Rendite – und der Anfang der Ehrlichkeit

Warum die Lebensversicherung neu erfunden werden muss? Kann eine Versicherung wieder ehrlich werden?“ – wie Transparenz, Mathematik und Mut das älteste Finanzprodukt der Welt neu erfinden könnten.

Die klassische Lebensversicherung ist müde geworden. Jahrzehntelang galt sie als der ruhige Hafen des deutschen Sparers, als Garant für Sicherheit und Altersvorsorge. Doch dieser Hafen ist versandet. Die Branche verkauft noch immer die Illusion planbarer Rendite, während ihre Produkte längst von Kosten, Komplexität und bürokratischer Trägheit erdrückt werden. Der Zinsanstieg ändert daran wenig, er ist nur ein kosmetischer Windstoß auf einem schwerfälligen Schiff. Das Problem liegt tiefer: im System, in der Politik der Versicherer, im Denken einer ganzen Finanzgeneration.

Sven Enger, Geschäftsführer der auxinum GmbH, bringt es auf den Punkt: „Das Modell der kapitalbildenden Lebensversicherung hat sich selbst überlebt. Es funktioniert nicht mehr, weil es nie offen gestanden hat, wovon es wirklich lebt – nicht von Zinsen, sondern von Gebühren.“ Damit stellt er die Branche vor eine unbequeme Wahrheit: Eine Versicherung, die Kosten statt Ertrag produziert, verliert ihren gesellschaftlichen Auftrag.

„Wenn Sicherheit zur Sackgasse wird“ – Der Mythos der Garantie

Lange Zeit verkauften Lebensversicherer ein Versprechen: Sicherheit mit Ertrag. Eine Kombination, die in der Theorie schön klang – und in der Praxis zur Zwickmühle wurde. Denn die Garantiezinsen, die früher Renditen versprachen, wurden in den vergangenen Jahren zu finanziellen Fesseln. Sie zwangen Versicherer, Kapital in festverzinslichen Papieren zu binden, selbst als die Inflation die Erträge auffraß.

Aktuar Prof. Philipp Schade erklärt: „Die klassische Garantie war ein mathematisches Korsett. Sie nahm den Versicherern jede Flexibilität, wenn Märkte und Inflation sich veränderten.“ Und so wurde aus dem Versprechen der Stabilität eine Falle. Wer heute seine Police von 1998 betrachtet, sieht: Die reale Kaufkraft des Auszahlungsbetrags ist oft halbiert. Der Versicherer hat gehalten, was er versprochen hat – nominal. Aber ökonomisch ist der Vertrag ein Verlustgeschäft.

Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin, nennt das „das juristisch erfüllte, aber wirtschaftlich enttäuschte Versprechen“ „Wir erleben Verträge, die formal korrekt abgewickelt werden, aber ökonomisch nichts mehr taugen. Das ist die gefährlichste Form der Erfüllung – die Leere.“

Transparenz bei Lebensversicherungen - Philipp Schade

„Vertrauen als Währung“ – Wenn der Kunde Rechenschaft verlangt

Die Branche steht an einem Wendepunkt, an dem Vertrauen nicht mehr durch Werbung entsteht, sondern durch Verständlichkeit. Kunden wollen wissen, wie ihr Geld arbeitet, nicht nur, dass es irgendwo „sicher“ liegt. Die Zeit der symbolischen Garantien ist vorbei; die neue Zeit verlangt messbare Transparenz.

Sven Enger fordert, dass Versicherer endlich die Sprache ihrer Kunden sprechen: „Niemand benötigt Produktbroschüren in Hochglanz. Was wir benötigen, sind klare Dashboards: Was habe ich eingezahlt, was hat es gebracht, was hat es gekostet?“ Genau hier liegt die Zukunft der Lebensversicherung – oder ihr Ende. Denn wer weiterhin Kosten verschleiert und Ergebnisse romantisiert, wird gegen eine Generation verlieren, die ihr Geld lieber selbst investiert: in ETFs, Impact-Projekte, nachhaltige Fonds oder Immobilien. Die junge Mittelschicht will keine Garantie, sie will Gestaltung. Keine feste Auszahlung, sondern Wachstum mit Verantwortung.

„Eine Branche auf der Couch“ – Warum sich die Lebensversicherung selbst therapieren muss

Prof. Schade beschreibt das mathematische Dilemma so: „Die Lebensversicherung hat versucht, Risiko zu neutralisieren, und hat damit Rendite getötet.“ Was als Sicherungsversprechen begann, ist heute ein System geworden, das seine Kunden vor allem vor sich selbst schützt und damit jede Dynamik verhindert. Der Zinsanstieg, den viele als Rettung feiern, wird daran wenig ändern. Die interne Kostenstruktur frisst die neue Hoffnung, bevor sie bei den Kunden ankommt.

Prof. Philipp Schade plädiert für nichts Geringeres als einen radikalen Umbau der Lebensversicherung. Sie müsse sich, so seine Überzeugung, von einem starren Einheitsprodukt hin zu einem flexiblen, modularen System entwickeln, das den individuellen Bedürfnissen der Menschen gerecht wird – mit klar unterscheidbaren Bausteinen für Risikoabsicherung, Vermögensaufbau, Nachhaltigkeit und steuerliche Optimierung. Nur so könne sie wieder relevant und zeitgemäß werden. Zentral ist für Schade auch die vollständige Offenlegung der Kapitalverwendung: Der Kunde solle nicht nur wissen, dass sein Geld investiert ist, sondern auch, wo und wie es arbeitet und welche Wirkung es tatsächlich entfaltet. Ergänzt werden müsse dieses neue System durch eine dynamische Überschussbeteiligung, die auf mathematisch begründeten Wahrscheinlichkeiten beruht statt auf starrem Zinsversprechen. Damit würde die Rendite wieder ein Spiegel des Marktes und der Verantwortung, nicht der Bilanzkosmetik. „Transparenz ist kein Marketinginstrument mehr“, sagt Schade, „sie ist die letzte Währung, die Vertrauen erzeugt.“

Erneuerung von Lebensversicherungen - Sven Enger

„Neue Realitäten, neue Produkte“ – Wenn Versicherungen lernen müssen, Rendite neu zu denken

Dr. Schulte sieht die Entwicklung aus rechtlicher Perspektive: „Das Recht zwingt die Branche zum Wandel. Wer heute intransparente Verträge verkauft, riskiert morgen Sammelklagen.“ Denn die neue Generation von Verbrauchern nutzt Daten, vergleicht und fordert Rechenschaft. Das ist der wahre Druck, nicht der Zins. Was wäre, wenn die Lebensversicherung diesen Wandel aktiv umarmt? Wenn sie selbst zum Architekten eines neuen Generationenvertrags wird?

Dann könnte die Lebensversicherung tatsächlich wieder relevant werden – aber auf vollkommen neue Weise. Eine „Lebensversicherung 2.0“ müsste nicht länger auf undurchsichtige Garantien bauen, sondern auf eine nachvollziehbare, überprüfbare Renditelogik, die zeigt, wie Verantwortung, Risiko und Ertrag zusammenhängen. Sie müsste offenlegen, wohin jeder Beitrag fließt, welcher Anteil in Kosten versickert, welcher in die Risikoabsicherung geht und welcher tatsächlich für den Vermögensaufbau arbeitet. Ein solches Produkt würde dem Kunden die Freiheit geben, seinen eigenen Investitionspfad zu wählen: konservativ, nachhaltig oder wachstumsorientiert, je nach Lebensphase und Risikobereitschaft. Juristisch spannend wäre die Frage, ob eine solche Transparenz nicht zur Pflicht werden müsste als Ausdruck des Grundsatzes der Aufklärung, den das Versicherungsvertragsrecht längst kennt, aber nie konsequent auf die Renditefrage angewandt hat. Technologisch wäre die Umsetzung keine Utopie: Digitale Plattformen könnten in Echtzeit zeigen, was die Police tatsächlich erwirtschaftet, wie sich Märkte auswirken und wo Kosten entstehen. So würde aus dem einstigen Misstrauensprodukt ein echtes Vertrauensgut. Nicht durch Marketingversprechen, sondern durch belegbare Zahlen.

„Was wäre, wenn …“ – Die Vision einer neuen Generationenversicherung. Was wäre, wenn Versicherer und Verbraucher gemeinsam Verantwortung tragen?

Wenn Verträge so transparent wären, dass niemand mehr Widerspruch einlegen muss, weil der Vertrag von Anfang an verständlich war? Wenn Altersvorsorge nicht als Pflichtgefühl, sondern als gemeinsames Investment verstanden wird mit messbarer Nachhaltigkeit, digitaler Nachvollziehbarkeit und echtem Ertrag?

Sven Enger träumt von einer „Renaissance des Vertrauens“: „Versicherung muss wieder von Verantwortung leben. Wenn der Kunde weiß, dass sein Geld sinnvoll investiert wird, kehrt die Rendite von selbst zurück.“

Prof. Schade sieht darin keinen Idealismus, sondern Mathematik: „Eine faire Kalkulation ist immer rentabel, weil sie keine Energie verschwendet, die Kunden zu überzeugen, die man schon enttäuscht hat.“

Und Dr. Schulte ergänzt juristisch: „Das Recht wird diese Entwicklung nicht bremsen, sondern beschleunigen. Wer Transparenz liefert, schützt sich vor Klagen. Wer sie verweigert, produziert sie.“

Recht bei Lebensversicherungen - Dr. Schulte

„Vom Produkt zum Prinzip“ – Warum die Zukunft mehr Verantwortung als Rendite benötigt

Die Lebensversicherung der Zukunft ist kein Produkt mehr, sondern ein Prinzip: gegenseitige Verantwortung in Zahlenform. Der Versicherer verpflichtet sich zu Offenheit und Wirtschaftlichkeit, der Kunde zu Verstehen und Teilhabe. Wenn beide Seiten rechnen, anstatt zu glauben, entsteht etwas, das größer ist als Rendite – Vertrauen mit Wirkung. Doch bis dahin liegt ein langer Weg vor der Branche. Sie muss sich von ihrer alten Komfortzone verabschieden: von standardisierten Policen, von Vertriebsillusionen, von der Idee, dass Sicherheit verkauft werden kann, ohne sie zu belegen. Die Gesellschaft verlangt ein neues Versprechen: keine Garantie, sondern Ehrlichkeit.

„Das letzte Kapitel der alten Lebensversicherung“

Vielleicht wird man in einigen Jahren auf diese Zeit zurückblicken und sagen: Hier endete die Ära der passiven Altersvorsorge und begann die Ära der aktiven Mitverantwortung.

Die kapitalbildende Lebensversicherung, wie wir sie kennen, wird diesen Wandel nicht überleben. Aber aus ihrem Erbe kann etwas Neues entstehen: Verträge, die Menschen verstehen. Produkte, die rechnen können. Unternehmen, die wieder stolz sind, Rechenschaft abzulegen. Oder, wie Sven Enger es formuliert: „Wenn Vertrauen die neue Rendite wird, dann hat die Lebensversicherung wieder eine Zukunft.“ Und vielleicht ist das die schönste Ironie dieser Entwicklung: dass das alte Versprechen, Sicherheit fürs Leben, endlich eingelöst wird. Nicht durch Zinsen. Sondern durch Wahrheit.

V.i.S.d.P

Dr. Rainer Schreiber
Dozent, Erwachsenenbildung & Personalberater

Über den Autor:

Personalberater und Honorardozent Dr. Rainer Schreiber, mit Studium der Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Finanzierung, Controlling, Personal- und Ausbildungswesen. Der Blog schreiber-bildung.de bietet Themen rund um Bildung, Weiterbildung und Karrierechancen. Sein Interesse liegt in der beruflichen Erwachsenenbildung und er publiziert zum Thema Personalberatung, demografischer Wandel und Wirtschaftspolitik. 

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